Neuregelung der jüdischen Zuwanderung
Die maßgebliche „Anordnung des Bundesministeriums des Innern gemäß § 23 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes über die Aufnahme jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion mit Ausnahme der baltischen Staaten vom 24. Mai 2007 – zuletzt geändert am 13. Januar 2015 – in der Fassung vom 21. Mai 2015“ wurde modifiziert.
Als jüdische Zuwanderer aufgenommen werden können nun auch Personen, die nicht nur von einem jüdischen Elternteil, sondern auch solche, die von mindestens einem jüdischen Großelternteil abstammen. Mit „jüdisch“ ist gemeint, dass sich dies aus staatlichen, vor 1990 ausgestellten Personenstandsurkunden oder sonstigen staatlichen Dokumenten (Inlandspas, Militärpass) ergibt. Beispiel: Der Antragsteller Vladimir Roth wurde im Jahre 1980 geboren. In seinem Inlandspass und auch in sonstigen Papieren wie zum Beispiel dem Militärpass war niemals die jüdische Nationalität eingetragen. Seine 1960 geborene Mutter ist zwar jüdisch, allerdings war auch nie in Ihrem Inlandspass oder in sonstigen relevanten Dokumenten die jüdische Nationalität eingetragen, sondern nur in den entsprechenden Dokumenten der 1940 geborenen Großmutter mütterlicherseits. Nach bisheriger Rechtslage hätte der Antrag von Vladimir Roth abgelehnt werden müssen; lediglich seine Großmutter (aufgrund eigener jüdischer Nationalität) und seine Mutter (aufgrund Abstammung) hätten Aufnahme finden können. Die Neuregelung macht damit Schluss und Vladimir Roth kann nun doch Aufnahme finden.
Wie ist nun bei Personen zu verfahren, deren Antrag in der Vergangenheit mit der Begründung, dass lediglich eine jüdische Abstammung auf Großelternebene vorliege, abgelehnt worden ist? Antwort: Hier kann nun ein Neuantrag gestellt werden. Aus der zitierten Anordnung ergibt sich nicht eindeutig, ob hier die 3-Monate-Frist für das Wiederaufgreifen von Verwaltungsverfahren gilt. Vorsorglich sollte der neue Antrag daher binnen drei Monaten ab dem Zeitpunkt, an dem man von der Neuregelung erfahren hatte, gestellt werden.
Es geht des weiteren um die Personen, die in der Vergangenheit eine Aufnahmezusage erhalten hatten und diese ablaufen ließen. Bisher bestand nur die Möglichkeit, die Aufnahmezusage für einen relativ kurzen Zeitraum verlängern zu lassen. Dann musste man sich entscheiden. Ließ man sie dann verstreichen, war eine erneute Antragstellung ausgeschlossen. Eine Ausnahme galt nur für den Fall, wenn die erneute Antragstellung bis zum 31. Dezember 2007 erfolgte. In der Praxis führte dies dazu, dass alle diejenigen, die in der Vergangenheit eine Aufnahmezusage erhalten hatten und diese nicht nutzten, auf Dauer von der Aufnahme ausgeschlossen waren.
Die Anordnung beinhaltet nun folgende sensationelle Änderung: Alle bis zum 31. Dezember 2008 abgelaufenen Aufnahmezusagen sind irrelevant. Es kann also ein neuer Antrag gestellt werden.
Wenn die Aufnahmezusage ab dem 1. Januar 2009 bis zum 31. Dezember 2015 abgelaufen ist, kann ein neuer Antrag gestellt werden, wenn für die Nichtinanspruchnahme ein „triftiger Grund“ glaubhaft gemacht werden kann.
Wer also eine Aufnahmezusage bekommen hat, die ab dem 1. Januar 2009 abgelaufen ist (das können auch schon Aufnahmezusagen aus dem Jahre 2007 oder 2008 sein), der muss bei der Antragstellung darlegen, dass ein triftiger Grund für die Nichtübersiedlung bestand. Die Frage ist natürlich, was darunter zu verstehen ist. Vielfach machen Antragsteller geltend, dass sie wegen einer schweren Erkrankung von Eltern oder Schwiegereltern nicht nach Deutschland übersiedeln konnten. Dies ist der mir am häufigsten geschilderte Fall. Andere Fallkonstellationen sind denkbar. Die Formulierung „triftiger Grund“ ist insofern relativ offen.
Wenn dann eine Ablehnung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge mit der Begründung erfolgt, dass kein triftiger Grund für die Nichtnutzung der Aufnahmezusage vorhanden war, kann hiergegen binnen Monatsfrist Klage vor dem Verwaltungsgericht Ansbach eingelegt werden.
Wie gesagt, haben die Personen es leichter, deren Aufnahmezusage bis zum 31. Dezember 2008 abgelaufen ist. Sie müssen keinen triftigen Grund glaubhaft machen.
Wichtig ist aber, dass Personen, die jetzt eine Aufnahmezusage erhalten haben oder demnächst eine erhalten, für den Fall, dass sie über einen Aufschub der Übersiedlung nach Deutschland nachdenken, zunächst einmal versuchen müssen, die Aufnahmezusage verlängern zu lassen. Möglicherweise wird dann nämlich für den Fall des Ablaufs der Aufnahmezusage (im Jahre 2015) das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einwenden, dass zunächst einmal die Verlängerungsmöglichkeiten hätten genutzt werden müssen. Eine Verlängerungsmöglichkeit besteht bei nachgewiesener längerer Krankheit des Antragstellers seines Ehegatten oder eines nahen Verwandten, außergewöhnlichen Problemen bei der Passausstellung durch die örtlichen Behörden, kurzer Überschreitung wegen Beendigung des Wehrdienstes, Studiums oder ähnliches des Antragstellers seines Ehegatten oder minderjährigen ledigen Kindes. Andere Gründe sind denkbar. Das Bundesamt entscheidet darüber. Die Verlängerung muss nicht nur vor Ablauf des Ein-Jahres-Gültigkeitszeitraumes der Aufnahmezusage beantragt werden, sie muss bis dahin auch tatsächlich erfolgen. Insofern sollte man kein Risiko eingehen.
Die neuen Regeln können in Verbindung mit bereits bestehenden Vorschriften besonders für Personen aus der Ukraine von Bedeutung sein:
Nach der Anordnung kann von dem Erfordernis der Grundkenntnisse deutscher Sprache gemäß A1 neben allgemeinen Härtefällen abgesehen werden, wenn der Erwerb oder die Zertifizierung solcher Sprachkenntnisse infolge von besonderen und durch das Auswärtige Amt bestätigten regionalen Gegebenheiten auf Dauer unmöglich ist und somit die Aufnahmezusage mit der Auflage erteilt werden kann, die Sprachkenntnisse innerhalb von zwölf Monaten nach der Einreise nachzuweisen. Dies wurde schon im Januar so geregelt. Diese Vorschrift passt natürlich insbesondere auf die Verhältnisse in der Ukraine, insbesondere den Bürgerkriegsregionen. Dort ist es nicht mehr möglich, einen Sprachkurs zu besuchen. Von Bedeutung ist auch, dass vom Bundesamt zugesichert wurde, dass die Antragstellung in der deutschen Botschaft in Kiew ohne lange Wartezeiten ermöglicht werden soll und Anträge aus der Ukraine vorrangig bearbeitet werden. Hier bieten sich sowohl für Personen, die erstmals einen Antrag stellen wollen, als auch für solche, die in der Vergangenheit eine Aufnahmezusage haben ablaufen lassen, völlig neue Perspektiven.